Studium EKIW ®

Rundbrief Januar 2013

Eine geschlossene Lernsituation verlassen

Margarethe Randow-Tesch

»Ich dachte immer, der Himmel sei ein Platz für Menschen, die ihr Leben lang gut waren. Aber das ist es nicht. Der Himmel ist einfach ein Platz für Leute, die echt unfähig waren, auf der Erde glücklich zu sein«. Diesen Satz legt der Schriftsteller Etgar Keret einer seiner Figuren in den Mund, die einfach aus der Welt verschwindet. Er soll als Ausgangspunkt für unser Thema dienen.

Die Unfähigkeit, auf der Welt glücklich zu sein, hat nichts mit der Welt als solcher zu tun. Wenn die Welt eine Projektion der Falschgesinntheit unseres Geistes ist – und genau das lehrt der Kurs –, dann ist in jedem Augenblick die Identifikation mit dieser Falschgesinntheit das Problem und sonst nichts. Nicht der Zustand eines Körpers, einer Beziehung, einer Situation, einer Vergangenheit – die Identifikation mit der Falschgesinntheit erzeugt Angst (und als Kehrseite Triumph, den wir mit Freude verwechseln). Diese Angst wird auf die Situation projiziert und färbt unsere Betrachtung und unser Verhalten. Sich das so oft wie möglich bewusst zu machen ist eine wichtige Übungspraxis im Alltag. Gemeint sind viele kleine und konstruktive Aha-Erlebnisse in der Art von »Aha, hier glaube ich schon wieder, dass etwas und jemand mich un/glücklich machen kann. Deshalb reagiere ich so«. Dieses Üben steht unter der Devise, dass »ein glücklicher Schüler sich nicht schuldig fühlt, dass er lernt … Schuld [ist] Störung, nicht Erlösung, und [erfüllt] überhaupt keinerlei nützliche Funktion« (T-14.III.1:1;1:4).

Was bedeutet Identifikation mit der Falschgesinntheit? Zunächst einmal, dass unser Geist Wahrheit und Fantasie nicht auseinanderhalten kann und zweitens, dass er unbewusst und undiszipliniert in die Situation abschweift. »Ein ungeschulter Geist kann nichts erreichen«, heißt es im Kurs (Ü-Einl.1:3). Wie schon oft deutlich wurde, lebt ein ungeschulter Geist in qualvollen Egofantasien, die er für wahr hält: Im Glauben, von der allumfassenden einen Liebe (Gott), getrennt zu sein, sucht er, getrieben vom Schmerz der Heimatlosigkeit und Unvollständigkeit, nach Besonderheit als Ersatz für diese Liebe, kämpft verzweifelt um seinen Wert, an den er nicht mehr glaubt, fürchtet sich vor Angriff und erhascht kurze Glücksmomente, die sich in Verzweiflung kehren – das sind ein paar Beispiele für die gedankliche Grundausstattung, aus der die Drehbücher dieser Welt gesponnen sind. Es ist der im 23. Kapitel des Textbuchs beschriebene Krieg des Geistes gegen sich selbst, den wir insgeheim alle führen und aus dem unser Leben als Person gemacht ist. Und solange der Geist sich dieses Zustands nicht bewusst ist und lernt, zunehmend wach und wachsam dagegen zu werden, werden die Fantasien weiter Macht über ihn ausüben.

Im Mittelpunkt der Drehbücher der Welt stehen der Körper und die besonderen Beziehungen. Es scheint jetzt so, dass andere mir, der Person, etwas Essenzielles entziehen oder geben können; sie sind die Teufel mit den sieben Mistgabeln oder die besonderen Wesen, die mir das ersehnte Pflaster der Schmerzbetäubung reichen sollen. Aufgrund dieser Abhängigkeit bin ich dazu verdammt, mich mit ihnen zu vergleichen, sie zu beurteilen, zu kontrollieren, zu hassen, zu manipulieren oder festzuhalten. So ist das Drehbuch mit seinen unzähligen Wiederholungen geschrieben. Es wird nichts gelernt, denn das Ergebnis steht schon fest.

»In diese hoffnungslose und geschlossene Lernsituation … sendet Gott seine Lehrer. Und indem sie seine Lektionen der Freude und der Hoffnung lehren, wird ihr Lernen schließlich vollständig« (H-Ein.4:7). Das klingt nach Missionaren, nach einem Amt. Aber weit gefehlt. Wer sind diese Lehrer? Jeder. Jeder, der an irgendeinem Punkt beschließt, nicht mechanisch nach den Regeln der Falschgesinnheit zu leben. So beginnt der Weg. Lehren und lernen im Kurs bedeuten nichts anderes als alltägliches Leben. Eine gute Frage, um sich im Alltag zu überprüfen, lautet: »Ist das, was ich gerade denke und tue, respektvoll?«

Respekt hat ruhige Freude zur Folge. Respekt heilt den zentralen Gedanken, dass allein ich zähle – dass meine Existenz, mein Leiden, meine Freuden, meine Interessen und Ziele wichtiger sind als deine. In Wirklichkeit sind sie dasselbe, nur in einer anderen Form. Das ist eine bedeutsame Lektion der Freude und der Hoffnung, die wir ganz praktisch zu lernen und zu lehren haben. So lernen wir, dass das, was für Trennung und Unterschiede steht, nicht von Belang ist.

»Warum auf den Himmel warten?« – heißt es in Lektion 188 des Kurses. »Diejenigen, die das Licht suchen, bedecken nur ihre Augen.« Der Himmel, das Licht der Einsgesinntheit im Geist jenseits aller Illusionen, ist in unserem jetzigen gespaltenen Zustand nur in angepasster Form erfahrbar, als Ruf der Vergebung, der ständig tief aus unserem Innern an uns ergeht: »Warum in der Identifikation mit deinen erfundenen Geschichten verharren, wenn es einen besseren Sinn für diese Welt gibt – die Rechtgesinnheit des Geistes wiederzuerlangen? Warum in der Situation das alte Drama mitschleppen und kompensieren wollen? Das alles sorgt für unnötige Wiederholungen der immer selben Geschichte.« Im Kurs heißt es: »Wenn du merken würdest, dass du nicht wahrnimmst, was zu deinem Besten ist, so könnte man dich lehren, was es ist. Aber angesichts deiner Überzeugung, dass du doch weißt, was es ist, kannst du nicht lernen« (Ü-I.24.2:1-2). Warum also nicht lieber meine Geschichte in jedem Augenblick freundlich als Erfindung begreifen? So kann ich, der nicht mehr völlig ungeschulte Geist, die geschlossene Lernsituation, die wir Welt nennen, verlassen. Ich kann andere aus meinem Traum des Konflikts entlassen. Ich kann hinter den verschiedenen Situationen mehr und mehr die falschgesinnten Prinzipien sehen und geduldig üben, üben und üben, auf diese Gedanken nicht zu reagieren – mich nicht zu identifizieren. So fangen wir an, unser Leben, so wie es ist, als unsere ganz persönliche Schule des Wachwerdens zu akzeptieren. Wir bekommen einen Geschmack von der Weite des Himmels mitten in den Begrenzungen des irdischen Daseins. Das ist der Weg der Rechtgesinntheit, und das ist die Funktion einer Beziehung zu Jesus, die auf diesem Weg unerlässlich ist. Diese Augenblicke in uns zu vermehren und zu leben ist das Glück. Und so können wir in Anlehnung an Etgar Keret sagen: Ja, der Himmel ist ein Platz für Leute, die unfähig waren, auf der Erde glücklich zu werden. Er ist für uns alle. Wann wir diese Einsicht haben, ist nur eine Frage der Zeit, und Zeit ist eine Illusion.

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